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Neue Krebs-Therapie hat sie gerettet

Charlotta, das kleine Medizin-Wunder

23.11.2021

Er solle in den nächsten Wochen vielleicht lieber ganz mit im Krankenhaus bleiben, sagen die Ärzte Papa Florian (43). Entweder könnten diese die ersten Schritte in ein neues Leben seiner leukämiekranken Tochter (1) sein – oder es würden die letzten Wochen ihres jungen Lebens werden.

Die kleine Charlotta wird als erste Patientin weltweit mit einer neuen Methode behandelt: im Labor aufbereitete Abwehrzellen eines Spenders werden in ihre Blutbahn gespritzt. Die Zellen sind quasi scharf geschaltet, sollen die Leukämie bekämpfen. Zuvor hat das tapfere Mädchen Chemo, Immuntherapie, eine weitere Antikörperbehandlung und Stammzelltransplantation überstehen müssen – nichts davon konnte ihren hochaggressiven Krebs besiegen.

Nun gehen ihre Ärzte ein großes Wagnis ein, um ihr junges Leben doch noch zu retten. Charlotta ist Patientin null. Niemand weiß, wie die neue Therapie in ihrem kleinen Körper wirken wird. Deshalb der Rat an den Vater, sich krankschreiben zu lassen und bei seiner Familie zu bleiben. In jeder Minute kann etwas Unerwartetes passieren.

„Die aufbereiteten Zellen waren in einer normalen kleinen Spritze, das wirkte nach all den Sorgen und Gesprächen erstaunlich einfach“, sagt Mama Juliana.

Die ersten drei Wochen nach Gabe der sogenannten CAR-T-Zellen sind die wichtigsten. Dann wollen die Ärzte im Knochenmark schauen, ob sie wirken. Doch schon an Tag vier bekommt Charlotta Fieber. „Das ist gut“, sagt Prof. Angelika Eggert, Leiterin der Kinderklinik für Onkologie an der Berliner Charité. „Das bedeutet, dass die Zellen tatsächlich aktiv sind, sich im Körper von Charlotta ausbreiten. Dass sie ihre Arbeit aufnehmen.“

Dann kommt ein Krampfanfall.

„Charlottas Augen rollten sich nach hinten und ihre rechte Hand begann leicht zu zittern“, erinnert sich Papa Florian, der den Notknopf drückt, als der Monitor anzeigt, dass die Sauerstoffsättigung im Blut massiv runterrauscht. „Ich sah auf dem Flur Ärzte und Pfleger im Laufschritt. Sogar der Professor rannte. Da wusste ich, wie ernst es ist“, sagt der Vater.

Eine Stunde lang kämpft das Team um das Leben des Mädchens. So einfach das Prinzip der scharf geschalteten Abwehrzellen ist, so komplex sind die Reaktionen im Körper des Kleinkinds. Im Militärton gibt der leitende Arzt Anweisungen. Anfangs hält Juliana noch den Fuß ihres Mädchens fest, um nicht zu stören, aber auch nicht den Kontakt zu ihrer Kleinen zu verlieren. Dann bringt eine Ärztin die Eltern nach draußen, wo sie in einem Arztzimmer warten.

„An diesem Punkt dachte ich das erste Mal, dass sie es vielleicht nicht schaffen wird“, sagt Mama Juliana. „Niemals! Sie packt das“, sagt Papa Florian bestimmt. Die beiden schauen sich an, wenn sie davon erzählen, noch immer ist ihre Verzweiflung spürbar.

Doch aus der Angst wird pures Glück. Denn weil Charlotta nach dem Krampfanfall mit Medikamenten ruhiggestellt werden muss, nutzen die Ärzte diese Ruhe, um zum ersten Mal nach der Gabe der CAR-T-Zellen ihr Knochenmark zu überprüfen. Das Ergebnis überwältigt Ärzte und Eltern gleichermaßen: 10 Tage nach der ersten Gabe der weltweit neuen Therapie finden sich im Knochenmark von Charlotta KEINERLEI Spuren mehr von Krebszellen! Keine einzige Zelle.

<strong>Mit Bobbycar als Infusionsständer begann Charlotta, die Station für sich zu erobern</strong>
Mit Bobbycar als Infusionsständer begann Charlotta, die Station für sich zu erobern

Zum allerersten Mal seit der Diagnose Leukämie vor knapp einem Jahr ist Charlotta krebsfrei.

Doch die Freude währt nicht lange, denn kurz darauf lagert das kleine Mädchen Wasser ein. So viel, dass Charlotta nur noch auf dem Bauch liegen kann, sonst würde das Wasser ihre Lunge zerdrücken.

Nächtliches Röntgen, immer wieder abrauschende Sauerstoffsättigung und Notfalleinsätze, eine Lungenentzündung.

„Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich sehr dankbar bin, dass uns vorher niemand sagen konnte, wie alles weitergehen würde. Denn sonst hätten wir das vielleicht nicht angefangen – und nicht durchgestanden.“


Eltern und Ärzte stehen vor Dilemma

Als wäre die lebensbedrohliche Lungenentzündung nicht schon genug, kommt mit ihr ein Dilemma: Kortison kann die Entzündung in den Griff bekommen – tötet aber eventuell die CAR-T-Zellen ab, die noch dabei sind, die Leukämie zu bekämpfen.

Dennoch geben? „Wir haben die Gabe so weit es ging hinausgezögert“, sagt Prof. Johannes Schulte, Leiter der Transplantationsstation. Alles ist hier ein Experiment, denn niemand hat bisher Erfahrung mit den CAR-T-Zellen eines fremden Spenders.

„Am Ende mussten wir das Kortison geben, sonst wäre Charlotta an der Lungenentzündung gestorben“, erklärt Prof. Schulte. Er steht oft abends um 23 Uhr noch bei Charlotta im Zimmer – und morgens um fünf bereits wieder.

Das Kortison wirkt – und eine Untersuchung des Knochenmarks zeigt, dass die CAR-T-Zellen immer noch aktiv sind! Alle atmen auf.

„Ich wusste nicht, wohin mit mir vor Freude, Erleichterung, Tränen“, sagt Juliana.

Die Therapie kostete Charlotta zeitweise alle Kraft
Die Therapie kostete Charlotta zeitweise alle Kraft

Charlotta kämpft sich durch die lebensrettende Therapie

Doch über den Berg ist ihre kleine Tochter noch lange nicht. Charlotta entwickelt eine Abstoßreaktion, Darm und Haut sind betroffen. Monatelang hat die Kleine dauerhaft Durchfall, ihre ganze Haut schuppt auf, juckt furchtbar. „Wir mussten ihr mit Klebeband Socken um die Hände machen, damit sie sich nicht blutig kratzt, haben sie nachts stundenlang getragen. Sie fand nie zur Ruhe, schlief höchsten Mal vor lauter Erschöpfung ein paar Minuten ein“, sagt Mama Juliana.

„Es war die Hölle, sie so leiden zu sehen.“ Egal was zur Linderung versucht wird, es hilft immer nur höchstens ein paar Minuten. „Der Zustand dauerte über ein halbes Jahr, wir haben uns teilweise gefragt, ob es richtig ist, unserer Tochter so viel Leid zuzufügen. Ob wir sie nicht vielleicht hätten gehen lassen müssen“, sagt Mama Juliana.

Doch auch diese Zeit übersteht die kleine Kämpferin, die irgendwann endlich in ihrem Bettchen sitzt und beginnt, ein wenig zu spielen. Sticker sind ihr erstes und liebstes Hobby. „Sie hat sie überall hingeklebt, auch auf ihr gesamtes Gesicht“, sagt Juliana. Dass die drei herzlich zusammen lachen können darüber, dass sie komplette Sticker-Bestände ganzer Spielzeugläden plündern und Charlotta damit die gesamte Wohnung pflastert, ist das schönste Geschenk für alle.

Begonnen hatte die Krankengeschichte von Charlotta im Frühjahr 2016 – und erst 2019 geht es für das Mädchen aus medizinischer Sicht merklich bergauf: Monatlich wird eine neue Probe aus ihrem Knochenmark entnommen. Sie bleibt krebsfrei – obwohl die CAR-T-Zellen, die erst den Krebs besiegt, sich dann aber gegen das Mädchen gewendet und sie schwer krank gemacht haben, stetig abnehmen. Im Sommer 2019 sind sie das erste Mal nicht mehr nachweisbar. Die Leukämie bleibt trotzdem weg!

Im Folgejahr lernt Charlotta zu sprechen, zu krabbeln, zu laufen. Alles innerhalb weniger Monate. „Es war, als würde ihr kleiner Körper nun endlich aufholen, was er so lange nicht leisten, entdecken, erspielen konnte“, sagt Papa Florian.

Irgendwann beginnt das Mädchen, den Krankenhaus-Alltag, der ihr Leben bisher bestimmt hat, in ihr Spiel einzubinden. So müssen all ihre Stofftiere Masken tragen, die Familie macht Selfies damit. „In Corona-Zeiten kamen wir uns damit erstaunlich normal vor“, sagt Papa Florian lachend. Normalität. Ein Fremdwort bis zu diesem Zeitpunkt für die junge Familie.

Erst im März dieses Jahres werden Charlotta die Magensonde und ein Katheter gezogen, über den sie die heftigen Medikamente bekommen hat. Alle drei Monate wird sie jetzt weiterhin untersucht.

Aber Charlotta ist nun ein gesundes, fröhliches, die Welt für sich entdeckendes Mädchen. Eines, für das sich JEDE Strapaze gelohnt zu haben scheint. Eines, das sehr häufig lächelt – oder besser gesagt: frech grinst.

Bitte helfen Sie, Kindern mit Krebs eine Chance zu geben

Die sogenannte CAR-T-Zelltherapie kann selbst verloren geglaubtes Leben retten – so wie bei Charlotta! Das Problem: Bis eine neue Therapie für Kinder allen betroffenen Kindern zugänglich wird, muss ein sehr langer und teurer Weg zurückgelegt werden. Hier zahlen weder Kassen noch Pharmaunternehmen.

„Ein Herz für Kinder“ setzt deshalb einen Schwerpunkt auf das Thema Krebs: Die BILD-Hilfsorganisation unterstützt die Charité Berlin, aber beispielsweise auch die Unikliniken Heidelberg und Essen bei Studien, die Kindern neue Behandlungsmethoden ermöglichen – und möchte das auch weiterhin tun. Mit Ihrer Hilfe!

Wenn Sie Kindern eine Chance auf ein gesundes Leben geben wollen, dann spenden Sie bitte an:

BILD hilft e.V. Ein Herz für Kinder

Kennwort: Krebs

IBAN: DE60 2007 0000 0067 6767 00

BIC: DEUTDEHH

Oder spenden Sie online unter www.ehfk.de oder unter www.paypal.me/einherzfuerkinder

Am 4. Dezember um 20.15 Uhr findet im ZDF wieder die große „Ein Herz für Kinder“-Spendengala statt.