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Große Bildungsstudie

Der ifo-„Ein Herz für Kinder“-Chancenmonitor 2023

23.05.2023

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Es gibt ein großes Ungleichgewicht in Deutschland, das die kleinsten und schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft betrifft: die Kinder.

Die einen von ihnen wachsen behütet und in finanzieller Sicherheit auf, werden ihren Begabungen nach gefördert und haben später alle Möglichkeiten, im Leben durchzustarten. Die anderen wachsen in Armut auf und haben schon ab der Kita schlechtere Startchancen als andere – falls sie überhaupt eine Kita besuchen.

Um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken und etwas für Kinder zu bewirken, veröffentlicht BILD hilft e.V. „Ein Herz für Kinder“ gemeinsam mit dem ifo Institut für Wirtschaftsforschung den Chancenmonitor 2023 (das komplette PDF lesen Sie hier), der ab jetzt jährlich erscheinen soll. Diese Studie zeigt, wie Bildungschancen in Deutschland verteilt sind, welche Faktoren einen Einfluss darauf haben – und was getan werden muss, um Veränderungen zu ermöglichen. Veränderungen, die Millionen Kindern den Start in eine bessere Zukunft erlauben würden.  

Wer Abitur hat, kann sich später frei entscheiden

Die Ergebnisse der Studie von „Ein Herz für Kinder“ und dem ifo Institut basieren auf den Daten des Mikrozensus, der größten Haushaltsbefragung in Deutschland. Für die Untersuchung wurden Haushalte mit mindestens einem Kind zwischen 10 und 18 Jahren analysiert, insgesamt also die Daten von 51 240 Kindern ausgewertet. Als Maß der Bildungschancen nutzt der Chancenmonitor die Wahrscheinlichkeit, ob Kinder ein Gymnasium besuchen.

Der Gymnasialbesuch ist aussagekräftiges Maß für die Chancen eines Kindes im späteren Leben. Das bedeutet allerdings nicht, dass es der einzige Weg ist. Ein wichtiger Gradmesser ist es dennoch: Denn der erfolgreiche Abschluss des Gymnasiums mit dem Abitur hat in Deutschland weitreichende Folgen für das spätere Leben und öffnet die Türen zu allen weiterführenden Bildungswegen. Wer Abitur hat, kann sich frei entscheiden, ob er oder sie studieren möchte oder (zuerst) eine Ausbildung macht.

Auch finanziell lohnt es sich: Im Durchschnitt haben Menschen mit Abitur ein um 42 Prozent höheres monatliches Nettoeinkommen als Menschen ohne Abitur (bezogen auf Vollzeitbeschäftigte im Alter von 30-45 Jahren). Ein höherer Bildungsabschluss bedeutet nicht nur mehr Bildung, sondern auch eine höhere Lebenserwartung und eine größere Lebenszufriedenheit.

Denn: Mit besseren Arbeitsverträgen und -bedingungen und größerer finanzielle Sicherheit schläft es sich nachts deutlich besser. Im Krankheitsfall ist man stärker abgesichert, für die Rente kann besser vorgesorgt werden und Lebensträume lassen sich mit etwas mehr Geld leichter verwirklichen als ohne.

Alleinerziehend, Migrationshintergrund, kein Abitur

Der Chancenmonitor zeigt Probleme unserer Gesellschaft, die seit vielen Jahren bekannt sind und gegen die dennoch viel zu wenig unternommen wird. Die schlechtesten Chancen haben unter anderem demnach die Kinder, deren Eltern kein Abitur sowie einen Migrationshintergrund haben und alleinerziehend sind. Hier liegen die Chancen für einen Gymnasialbesuch nur bei 21,5 Prozent (bei einem Haushaltseinkommen unter 2600 Euro).

Aber auch in Familien, in denen beide Elternteile keinen Gymnasialabschluss haben, unter 2600 Euro im Monat verdienen und keinen Migrationshintergrund haben, liegen die Chancen des Kindes Abitur zu machen nur bei 21,1 Prozent. Hat ein Elternteil dagegen Abitur und beträgt das gesamte Haushaltsnettoeinkommen 4000-5000 Euro im Monat (ohne Migrationshintergrund), liegen die Chancen des Abiturs für das Kind schon bei 59,2 Prozent.

Die große „Ein Herz für Kinder“-Studie zeigt: Der Bildungsgrad der Eltern, aber auch Einkommen und ob sie alleinerziehend sind, wirken sich besonders stark auf den Lebensweg des Kindes aus, während der Migrationshintergrund eine untergeordnete Rolle spielt.

„Der Chancenmonitor zeigt schwarz auf weiß, was vielen von uns zwar klar ist, aber dennoch deutlich ausgesprochen werden muss: Die Lebensumstände eines Kindes entscheiden in Deutschland immer noch über seine Entwicklungschancen“, sagt Sarah Majorczyk, 1. Vorsitzende von BILD hilft e.V. „Ein Herz für Kinder“, „Genau das darf aber nicht sein! Natürlich muss nicht jedes Kind Abitur machen – aber jedes Kind sollte die Chance dazu bekommen und sollte entsprechend dessen, was es braucht, gefördert werden. Egal welchen sozialen Hintergrund das Kind hat. Dafür setzen wir uns mit ‚Ein Herz für Kinder‘ mit aller Kraft ein.“

Ob das Kind einen guten Schulabschluss machen wird, entscheidet sich schon in der Kita

Und Bildung fängt schon in der Kita an: Kinder von Eltern mit Abitur haben eine um 14 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, eine frühkindliche Bildungseinrichtung zu besuchen, als Kinder von Eltern ohne Abitur. Auch wie weit der Wortschatz der 3- bis 7-jährigen Kinder entwickelt ist, hängt mit dem Gefälle zwischen Elternhäusern mit hohem und niedrigem Bildungsniveau zusammen.

Das ist besonders mit Blick auf die Einschulung problematisch, da sich die fehlende Sprachkompetenz hier oft verfestigt und damit bereits die Startchancen in der Schule für Kinder aus bildungsfernen Haushalten schlechter ausfallen. Bedeutet: Die Kinder haben eigentlich schon ab der ersten Klasse einen Nachteil –  allein durch die Tatsache in welchem Elternhaus sie geboren wurden.

Diese Ungerechtigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben der Kinder und hört auch mit Ende der Schullaufbahn nicht auf: 79 Prozent der Kinder aus Akademikerelternhäusern (mindestens ein Elternteil mit Hochschulabschluss) nehmen ein Studium auf, wohingegen es bei Kindern aus Nicht-Akademikerhaushalten nur 27 Prozent sind.

Morgens hungrig in die Schule, abends hungrig ins Bett

Als Kinderhilfsorganisation sehen wir täglich, was diese Chancenungleichheit für die Kinder bedeutet. Es ist ja nicht nur so, dass sie es in der Schule schwerer haben. Viele haben aufgrund der finanziellen Einschränkungen ihrer Eltern auch keine Möglichkeit, ein Hobby auszuüben, ein Instrument zu lernen oder sich anderweitig zu verwirklichen und auszuprobieren und so ihre Persönlichkeit auszuformen.

In vielen Haushalten gibt es für die Kinder nicht mal eine warme Mahlzeit am Tag. Das liegt entweder daran, dass die Eltern kein Geld haben oder dass sie durch ihre Lebensumstände oft keine Kraft haben, sich um ihre Kinder zu kümmern. Diese gehen dann morgens hungrig in die Schule und liegen abends hungrig im Bett.

Wie der Berliner Comedian Felix Lobrecht, aufgewachsen im Brennpunkt-Viertel Neukölln, es kürzlich auf seinem Instagram-Account formulierte: „Ich hab mich als Jugendlicher oft gefühlt, als ob Deutschland uns vergessen hat – keiner hat uns ne faire Chance gegeben. Uns wurden eher Steine in den Weg gelegt.“ Lobrecht schaffte den Weg aus der Armut, machte Abitur, studierte, baute sich eine Karriere auf. Als einer von ganz Wenigen. Die meisten armen Kinder werden irgendwann arme Erwachsene.

Einzige Chance aus der Armut

„Ein Herz für Kinder“ unterstützt seit vielen Jahren deutschlandweit Suppenküchen, Nachhilfe- und Mentoring-Programme für Kinder aus sozialbenachteiligten Verhältnissen. Wir fördern Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen wie die Arche in Berlin-Hellersdorf oder das Kinder- und Jugendzentrum im Kölner Brennpunkt Meschenich. Hier bekommen Kinder ein warmes Mittagessen, Hausaufgabenhilfe, Unterstützung bei Problemen.

Hier können sie malen, basteln, kicken – und sind nicht sich selbst überlassen. Für viele sind diese Einrichtungen nicht nur ein zweites Zuhause, sondern auch die einzige realistische Chance, etwas in ihrem Leben zu bewegen – weil sie hier Unterstützung und erwachsene Ansprechpartner finden, die für sie da sind.

Die Mitarbeiter dieser Einrichtungen übernehmen vielfach Eltern-Aufgaben wie Hilfe bei der ersten Periode, Liebeskummer oder dem Kauf vom ersten Deo. Sie holen die Kinder ab, wenn sie abends vor verschlossenen Haustüren stehen und kümmern sich darum, dass sie einen Schlafplatz bei Verwandten bekommen oder die Eltern erreicht werden. Viel verdienen tun diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht und müssen oft bei Stadt und Kommunen um jeden Euro Unterstützung kämpfen.

Aus glücklichen Kindern werden glückliche Erwachsene

 „Wenn Kindern alle Möglichkeiten im Bildungssystem offenstehen, völlig unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, können sie ihr Leben erfolgreich gestalten. Aus glücklichen Kindern werden glückliche Erwachsene“, sagt Jörn Nikolay, Vorstandsmitglied BILD hilft e.V. „Ein Herz für Kinder“.

Professor Ludger Wößmann, dem Chef vom ifo Institut für Wirtschaftsforschung fügt hinzu: „Wir müssen gerade die Kinder fördern, die nicht schon von Haus aus gute Bildungschancen bekommen. Das ist häufig der Fall, wenn die Eltern einen niedrigen Bildungshintergrund haben, ein geringes Einkommen haben oder alleinerziehend sind. Eine gute Bildung versetzt Kinder in die Lage, sich später produktiv an der Gesellschaft zu beteiligen.“

Was müsste also passieren, um Veränderungen zu ermöglichen? Der Chancenmonitor setzt auf verschiedene Handlungsempfehlungen, unter anderem: kostenlose Nachhilfe-Programme für Kinder, Mentoring-Angebote und mehr frühkindliche Förderung.

Wir von „Ein Herz für Kinder“ tun, was wir können, um zu helfen. Unser Ziel: Jedes Kind in Deutschland soll die gleichen Bildungschancen bekommen – und die Chance haben, den für sich bestmöglichen Schulabschluss zu machen, um sich später ein gutes Leben in finanzieller Sicherheit und mit einem spannenden Beruf aufzubauen.

Dass das funktioniert, sollte in unser aller Interesse sein: Denn aus gut ausgebildeten Kindern werden Erwachsene, die ihr volles Potenzial entfalten, gut in die Rentenkassen einzahlen und so zur gesamtgesellschaftlichen Balance beitragen.

BILD hilft e.V. „Ein Herz für Kinder“ ist eine der bekanntesten deutschen Hilfsorganisationen, die sich national und international für in Not geratene Kinder einsetzt. Der Verein unterstützt bedürftige Familien Deutschland, lebenswichtige Operationen im In- und Ausland, fördert u.a. den Bau und die Ausstattung von Kinderkliniken, Schulen, Kitas, sozialen Einrichtungen und medizinische Forschungsprojekte.

Das ifo Institut für Wirtschaftsforschung ist ein renommiertes und unabhängiges Institut, das seit Jahren zu Bildungshemen und Chancengerechtigkeit forscht und langjährige Erfahrung beim Entwickeln von Studien hat. 

Themen: Kinderarmut Kinderschutz Kita