Ghana

Kaputt machen heißt hier überleben

02.12.2019
Für wenige Cent leisten Kinder hier in Ghana Schwerstarbeit – und atmen tagtäglich die Dämpfe des Giftmülls ein

Tayo kennt es gar nicht anders, als mit einem Hammer zuzuschlagen, mit einem Schraubenzieher loszuritzen, mit einem Meißel oder auch nur einem Stein draufzukloppen. Hauptsache „das Ding“ vor ihm geht kaputt: Nur dann hat der Achtjährige die Chance auf ein paar Cent, die ihm das Überleben sichern – eine Schüssel voll Reis oder Mais, eine …

Tayo kennt es gar nicht anders, als mit einem Hammer zuzuschlagen, mit einem Schraubenzieher loszuritzen, mit einem Meißel oder auch nur einem Stein draufzukloppen. Hauptsache „das Ding“ vor ihm geht kaputt: Nur dann hat der Achtjährige die Chance auf ein paar Cent, die ihm das Überleben sichern – eine Schüssel voll Reis oder Mais, eine kleine Tüte mit sauberem Trinkwasser.

„Das Ding“ kann alles sein: ein alter Computer, ein kaputter Kühlschrank, eine sperrige Tiefkühltruhe, angerostete Mixer oder Bügeleisen, altmodische Röhrenfernseher. Es ist der europäische Geiz-ist-geil-Wohlstandsmüll, der hier in Accra, der Hauptstadt Ghanas, auf einer Schrotthalde landet, die Tayos Heimat ist. Hier schuftet der Junge mit seinen Freunden – Tag für Tag, auf der Suche nach Eisen und Kupfer.

Tayo trägt Turnschuhe, die ihm mindestens fünf Nummern zu groß sind. An den Sohlen glaubt man noch den roten Staub eines Sandplatzes zu sehen. Er hat sie aus dem Müll gezogen, so wie fast alles, was er besitzt. Für die Platzmiete einer Tennisstunde müsste der Junge mehr als einen Monat arbeiten. Gerade mal einen Euro bekommt er für ein Kilo Kupfer. Ein Kilo Eisen bringt nicht mehr als 20 Cent.

Tayo (8) mit seiner Tagesausbeute: eine handvoll Kupferdraht – das Ergebnis stundenlanger Arbeit Fotos: Thomas Henk Henkel

Und da jedes Gramm zählt, schleppt der kleine Abduall (5) einen großen, schweren Magneten hinter sich her, an dem sich auch die kleinsten Eisenspäne sammeln. Wenn man noch nicht dicht genug dran ist, sieht es fast so aus, als würde der Junge ein Spielzeug hinter sich herziehen. So wie es kleine Kinder in Deutschland tun, lustig watschelnde Holzenten – pädagogisch wertvoll, biologisch abbaubar und mit ungiftigen Farben lackiert (vom TÜV kontrolliert).

Aber bei Abduall ist gar nichts lustig, sondern Schwerstarbeit. Stundenlang zieht er seine Runden, wird von den größeren Jungs angetrieben und manchmal aus dem Weg geschubst. Das gilt auch für Tayo. Ein paar junge Männer haben auf der Schrotthalde das Sagen. Agbogbloshie heißt dieser gigantische Müllhaufen. Die „Hölle auf Erden“ nennen ihre Bewohner ihre Heimat.

Aber auch in der Hölle herrscht Ordnung. Die Claims sind genau abgesteckt. Es gibt Regeln, Revier-Chefs – und einen Engel. Schwester Angelina (76).

Die deutsche Ordensfrau, die seit mehr als 50 Jahren in Ghana ist, kommt vorbei, so oft sie kann. Und wenn sie in ihrer hellblauen Ordenstracht durch den rußgeschwärzten Müll läuft, gleicht sie wirklich einer himmlischen Gestalt. Sie ist die letzte Hoffnung, die die Kinder noch haben.

Ordensschwester Angelina im Gespräch mit BILD am SONNTAG-Reporterin Alexandra Würzbach Foto: Thomas Henk Henkel

„Es macht mich unendlich traurig. Andere Kinder spielen, aber hier müssen schon die Kleinsten arbeiten. Sie kennen nichts anderes, sehen nicht anderes, machen nichts anderes“, sagt sie.

Tayo läuft auf Schwester Angelina zu, als er sie am Horizont entdeckt. Vorbei an der trüben, zäh fließenden Brühe, an der noch nicht mal die mageren Kühe ihren Durst stillen wollen. Über den von Quecksilber und Blei verseuchten Boden. Durch die noch glühende Asche, wo der Elektroschrott verbrannt wurde, um schneller an das Eisen und Kupfer zu kommen. Überall hier brennt, qualmt und stinkt es, verglüht das Plastik und legt die begehrten Drähte frei. Die Dämpfe sind giftig. Wer in der Hölle auf Erden lebt, ist mit 25 ein alter Mann und mit 36 (im Durchschnitt) tot.

Und mittendrin Tayo, der sich jetzt an die Schwester schmiegt. Er weiß, dass er gleich etwas zu essen bekommt. Und ein paar aufmunternde, liebevolle Worte. Die kennt er auch von zu Hause nicht, denn seine Mutter ist kurz nach der Geburt verschwunden. Er wächst bei seiner Tante auf – für sie ist er nur ein Maul mehr, das jeden Tag zu stopfen ist.

„Kinder wie Tayo brauchen unsere Hilfe, sonst haben sie keine Chance,“ sagt Schwester Angelina, die das Projekt zusammen mit dem Internationalen Katholischen Missionswerk („missio“) betreut.
„Für nur einen Euro am Tag können wir ihnen eine warme Mahlzeit geben und – viel wichtiger – eine Schulausbildung. Sie lernen lesen und schreiben, bekommen eine Perspektive, ein Leben, wie es jedes Kind auf der Welt leben sollte.“

Bitte spenden Sie, damit Schwester Angelina zusammen mit „Ein Herz für Kinder“ noch mehr Kinder retten kann. Helfen Sie, Tayo, Abduall und ihren Freunden eine Zukunft in Accra zu geben, sie zu befreien – aus Agbogbloshie, der „Hölle auf Erden“.