Die Narbe auf ihrer Stirn ist fein. Sie ist das einzig sichtbare Zeichen des Unglücks, das dem zweijährigen Mädchen widerfahren ist. Wie unermesslich es ist, verrät ein Blick in Michelles Augen. Sie sind tieftraurig.
19. Juni 2007, gegen 21 Uhr. Von einer Geburtstagsfeier will Marina D. mit ihrer Familie nach Hause fahren. Die 33-Jährige schnallt ihre Kinder an und fährt vom Parkplatz, der an den unbeschrankten Bahnübergang Hohnhorst (Niedersachsen) grenzt. Sekunden später erfasst ein Regionalzug das Auto der Familie.
Marina, ihr Mann Michael (36) und die Söhne Marcell (11) und Manuell (4) sterben bei dem Unfall. Nur die Kleinste überlebt, Michelle. Retter finden sie kopfüber, weinend in ihrem Kindersitz.
Oma und Opa sind ihr geblieben
Der Garten hinter einem Doppelhaus im niedersächsischen Wunstorf. Unter einem Baum sitzen Elisabeth (61) und Klaus J. (63), Michelles Großeltern. Die Oma singt ein Kinderlied. Dabei schaukelt sie die Karre, in der ihre Enkeltochter schläft.
Als Michelle wimmert, streicht ihr Elisabeth J. über die Wange, flüstert: „Ich bin ja da, meine Kleine. Omi ist bei dir.“
Am meisten vermisst das kleine Mädchen ihre Mutter. Manchmal versucht Michelle sie mit ihrem Kinderhandy anzurufen. „Mama, mir geht es gut“, flüstert sie.
Falls sie nach ihren Eltern und ihren Geschwistern fragt, sollen sie ausweichend antworten, haben ihnen Kinderpsychologen geraten. „Ich sage ihr dann, dass sie bei den Engelchen sind“, sagt Elisabeth J. „Was soll ich auch sonst sagen? Dass sie nie wiederkommen?“ Sie schüttelt den Kopf. „Das kann ich nicht.“
Plötzlich das Geräusch eines herannahenden Zuges. Michelle schreckt hoch. Kurz darauf donnert ein roter Regionalexpress vorbei.
Verzweifelt schüttelt Klaus J. den Kopf. „Wir wissen nicht, was sie gesehen hat und wie viel sie davon versteht“, sagt der Großvater. „Wir hoffen nur, dass sie klein genug ist, dass sie es eines Tages vergessen haben wird.“
Jetzt hilft „Ein Herz für Kinder“ dem Mädchen, das alles verlor. Geschäftsführerin Martina Krüger: „Wir legen 10 000 Euro für Michelles Ausbildung an.“
Für ihren Großvater Klaus J. ist die Spende ein Trost. Der Opa: „Wir werden uns um Michelle kümmern. Wir wollen, dass sie trotz der Katastrophe glücklich wird. Zumindest ums Geld müssen wir uns keine Sorgen mehr machen.“