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200 000 JESIDEN AUF DER FLUCHT • 500 FRAUEN VON ISIS-TERRORISTEN VERSCHLEPPT • MINDESTENS 1000 FLÜCHTLINGE SITZEN IM SINDSCHAR-GEBIRGE FEST

„Wir dürfen diese Menschen nicht vergessen“

21.08.2014

Etwa 200 000 Menschen sind im Nordirak auf der Flucht von der Terrorgruppe ISIS. Bitte helfen Sie Ihnen und spenden.

„In der Nacht von Samstag auf Sonntag ging es los. ISIS begann, die Dörfer in der Nähe des Sindschar-Gebirges zu stürmen. Die Krieger stellten die Jesiden vor die Wahl: fliehen, zum Islam konvertieren oder hingerichtet werden. Die Nachricht verbreitete sich schnell per Telefon – die Menschen warnten die anderen, bevor sie zur Flucht aufbrachen. In so einer Situation überlegst du nicht lange, was du mitnimmst oder packen solltest. Du nimmst deine Kinder rechts und links an die Hand und marschierst los, in der Hoffnung, zu überleben.“

So beschreibt Holger Geisler, Sprecher des Zentralrats der Jesiden in Deutschland, den Albtraum, der im Nord-Irak herrscht. Dort wütet die Terrormiliz Islamischer Staat (ISIS). Laut UN flüchteten 200 000 Menschen. Jeder, der nicht dem radikalen Glauben der Kämpfer anhängt, gilt als Feind, besonders die religiöse Minderheit der Jesiden.

Ein Volk auf der Flucht! Wer nicht flieht oder zum Islam konvertiert, wird getötet, auf brutalste Weise.

„Christen können sich mit einer Art Steuer freikaufen, müssen den Terroristen mindestens 5000 Euro pro Kopf zahlen. Doch für Jesiden, selbst wenn sie so viel Geld hätten, gibt es diese Möglichkeit nicht. Sie sind in der Rangfolge ganz unten“, erklärt Geisler.

Warum verachten die ISIS-Anhänger gerade die Jesiden so sehr? Sie sind eine vergleichsweise kleine Glaubensgemeinschaft, die christliche Elemente in ihre Religion einbezieht, an Engel glaubt und auch an den Teufel.

Deshalb bezeichnet ISIS die Mitglieder als Teufelsanbeter, jagt und treibt sie mit besonderem Hass.

500 Frauen und Kinder wurden in der Stadt Sindschar lebendig begraben, weitere 500 Frauen soll die ISIS-Miliz entführt haben und in einem Gefängnis in Mossul gefangen halten, berichtet Geisler.

„Es sind schreckliche Geschichten, die uns die Jesiden vor Ort erzählen. 12- und 13-jährige Mädchen wurden von ISIS-Kämpfern vergewaltigt. Sie töteten Kinder und spießten ihre Köpfe auf Stangen auf, dann zwangen sie die Angehörigen, daran vorbeizugehen.“

Solche Gräueltaten bestätigt die UN-Berichterstatterin Rashida Manjoo: ISIS-Mitglieder hätten Hunderte von Kindern und Frauen entführt und viele von ihnen vergewaltigt. Viele Frauen seien ermordet worden.

80 000 bis 90 000 Jesiden schafften es, sich in das nahe Sindschar-Gebirge zu retten. Vorläufig.

„Das ist ein traditioneller Zufluchtsort“, erklärt Geisler. „Die Jesiden haben in ihrer Geschichte mehr als 70 Verfolgungskampagnen überlebt. Sie wissen, wo sie sich verstecken können. Das Problem dieses Mal ist, dass der Überfall der ISIS so plötzlich kam und in der Nacht. Sie hatten keine Möglichkeit, viele Versorgungsmittel einzupacken oder die Flucht zu planen.“

Tagelang harrten die Flüchtlinge in der kargen Landschaft aus, ohne Wasser und Nahrungsmittel. Erst seit Freitag kommen dank amerikanischer Luftangriffe endlich erste Hilfslieferungen im Gebirge an: Wasser, Lebensmittel, Medikamente, Zeltplanen, Solarlampen – und Ladegeräte für die Handys, die Kontakt zur Welt jenseits der Gebirgskette ermöglichen.

Die Islamisten haben das Gebirge eingekesselt – wer sich traut, die Berge zu verlassen, riskiert, ermordet zu werden.

Etwa 40 000 Jesiden machten sich dennoch auf, aus Angst im Gebirge zu verdursten. Sie liefen in Richtung syrische Grenze – und hatten Glück. Glück, das heißt, sie überlebten und erreichten den Fluchtkorridor der kurdischen Armee. Soldaten führten sie von dort aus über Syrien in sichere Teile des nördlichen Iraks. Andere, etwa 6000, so Geisler, flohen über die kurdisch-türkische Grenze.

In beiden Regionen herrscht weiter Ungewissheit. „Natürlich überwiegt die Freude, zu leben, den ISIS entkommen zu sein“, sagt Geisler. Aber sicher fühlten sich die Jesiden in den Flüchtlingscamps nicht, nach allem, was sie erleben mussten.

Bis zu 30 000 Jesiden harrten weiter im Sindschar-Gebirge aus: Frauen mit Kleinkindern, alte Menschen – und ihre Angehörigen, die sie nicht zurücklassen wollten.

„Mehr als 300 Kinder sind in den vergangenen Tagen verdurstet. Wir hören Berichte von Kindern, die vor Hunger Rinde und Pflanzen gegessen haben und daran gestorben sind“, sagt Geisler. Seine Stimme am Telefon klingt traurig, resigniert.

Das Problem: Die internationalen Hilfslieferungen erreichen nicht alle Flüchtlinge. Geisler: „Die Pakete werden über dem Gebirge abgeworfen und natürlich versuchen die Piloten, die Regionen zu treffen, wo sich viele Menschen aufhalten. Aber richtig zu zielen, ist nicht so leicht – das Sindschar-Gebirge ist 75 Kilometer lang und sehr verwinkelt.“

Kann ich für die Jesiden spenden?

Unbedingt, denn ihre Lage ist dramatisch. Wenn Sie helfen möchten, können Sie unter anderem hier spenden:

BILD hilft e.V. „Ein Herz für Kinder“

Spendenkonto: 067 67 67

BLZ: 200 700 00

Deutsche Bank Hamburg

Stichwort: Flüchtlinge Nordirak